Wahrhaftig da sein: Jonathan Safran Foers „Hier bin ich“

Jonathan Safran Foer ist der Autor drei internationaler Bestseller: den Romanen Alles Ist Erleuchtet und Extrem Laut und Unglaublich Nah und dem Sachbuch Tiere Essen. Nach sieben Jahren Pause ist Ende 2016 sein neuer Roman Hier Bin Ich bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.


Wer Jonathan Safran Foer liest, der taucht in eine poetische Welt ein, in der Worte Bilder malen und ganz normale Situationen plötzlich vor Symbolen, Hoffnung und großer Tragik strotzen. Ständig ertappt man sich dabei, wie man nach besonderen Sätzen eine Weile aus dem Fenster starren und seufzen muss. Das klingt jetzt hochtrabend, aber abgehoben sind Foers Bücher nicht. Ihm gelingt es, Worte gleichzeitig bodenständig und erhaben klingen zu lassen.

Hier Bin Ich ist plottechnisch sein bisher gewöhnlichstes Werk. Jacob und Julia Bloch sind seit 16 Jahren verheiratet, haben drei Söhne und leben in Washington. Die Bar Mitzwa des ältesten Sohns Sam steht an, ansonsten geht alles seinen gewohnten Gang. Doch die Ehe der beiden Amerikaner jüdischer Abstammung ist am kriseln. Aus Jacobs Perspektive erfahren wir von der langsamen, aber doch deutlich zunehmenden Distanzierung der beiden, der verlorengegangenen Intimität, der verschwundenen Leidenschaft, und dem Gefangensein im endlosen Zyklus der Alltagsoptimierung. Dann findet Julia ein Handy, mit dem Jacob einer anderen Frau obszöne Nachrichten geschickt hat – und die unterdrückte Unzufriedenheit droht an der Oberfläche zu explodieren.

Geschichten von scheiternden Ehen, davon gibt es zahlreiche, und dennoch ist diese einzigartig in Form und Inhalt. Hier Bin Ich ist eine Sammlung an Erinnerungen, positive wie negative, die sich in Jacobs Kopf wieder und wieder ungefragt abspielen. Es ist die Geschichte eines Mannes, der alles hat und sich trotzdem leer fühlt, der viele Rollen einnimmt, aber all die Jahre nie überlegt hat, wer er eigentlich im Kern ist: ohne die Erwartungen anderer, ganz egoistisch. Sein Cousin Tamir merkt einmal an, dass er für nichts sterben würde – es gibt nichts, für das er brennt. Von sich selbst sagt Jacob, dass er sein Leben lang daran gearbeitet hat, „gut genug“ zu sein. Aber nicht mehr als das. „Wir behalten nur das, was wir uns weigern, loszulassen“, schreibt Foer, und im Laufe der Lektüre wächst in einem das Gefühl, dass Jacob sich nicht genügend weigert, seine Frau gehen zu lassen.

Man kann nicht anders, als sich zu fragen: Wenn das nicht Liebe ist, was dann?

Das Tragische an diesem Aufflackern von Erinnerungen ist, dass es so viele liebevolle Momente zwischen Jacob und Julia gibt, die möglicherweise nur wir als Leser als solche erkennen. Da ist Julias Hand auf Jacobs Hand, bevor sie ihm sagt, dass sein Großvater gestorben ist. Da ist das Telefonat zwischen ihnen, als Jacob ihr von einem Knoten in seinem Hals erzählt, und sie auf seine Entschuldigung hin, sie damit zu belasten, sagt: „Du bist immer meine Verantwortung.“ Da sind die, wenn auch raren, Momente, in denen Jacob Julia zum Lachen bringt, und man merkt, wie sehr sie beide das vermissen. Und man kann nicht anders, als sich zu fragen: Wenn das nicht Liebe ist, was dann?

Aber Jacob steckt nicht nur in einer Ehekrise, sondern in einer Identitätskrise. Er schreibt Drehbücher für eine Soap Opera, statt das zu schreiben, was ihm wirklich am Herzen liegt. Er hadert mit seiner jüdischen Identität, die zwar laut Stammbaum nachgewiesen ist, er aber nicht ehrlich und überzeugt leben kann. Außer einem guten Vater möchte er auch ein lustiger sein, mit denen die Kinder kumpelhaft Sprüche klopfen können – stattdessen tötet er versehentlich Sams Avatar in dessen Online-Spiel „Other Life“ und versucht ihn per telefonischer Hotline zurückzuholen. Er will nichts mehr vorspielen, oder so sein, wie er als Vater, Ehemann, Autor, Vierzigjähriger, oder Jude sein sollte. Er will wirklich und wahrhaftig da sein.

Ein großes Talent Foers ist es, tragische Geschichten humorvoll zu erzählen

Ein weiteres großes Talent Foers ist es, tragische Geschichten humorvoll zu erzählen. Und so ist auch Hier Bin Ich unheimlich witzig. Zwar durchschaut man Jacobs Humor, der ihm oft als Schutzschild dient und von seiner eigentlichen Gemütsverfassung ablenken soll. Aber die Situationskomik ist wirklich unübertrefflich und lässt Foers Figuren dreidimensional werden: etwa wenn Jacob meint, in einem Pissoir Steven Spielberg und dessen unbeschnittenes Geschlecht gesichtet zu haben und seiner Familie aufgeregt davon berichtet.

Foers Bücher sind übersät von spielerischen Elementen, die seine Texte auch formal einzigartig machen. In Alles Ist Erleuchtet gibt es zum Beispiel eine Liste verschiedener Arten der Traurigkeit. In Hier Bin Ich erfahren wir erst durch „The Bible“, was Jacob eigentlich fühlt: eine Art Glossar über seinen Gemütszustand, in dem er verschiedene Rollen beschreibt und wie man sich ihnen annimmt – „How to play laughter“ oder „How to play no one“. Der Text ist durchbrochen von Dialogen aus Sams „Other Life“ oder Nachrichten, die Jacob der fremden Frau schickt. Und die Kapitel erzählen bereits ihre eigene Geschichte, mit Titeln wie „Today I am Not a Man“ oder „In the End, One’s Home is Perfect“.

Letztlich gibt Foer keine Antwort darauf, weshalb bestimmte Dinge in Jacobs Leben geschehen, und damit will er vielleicht ausdrücken, dass es nicht für alles einen Grund geben muss – oder zumindest, dass manches nicht verhindert werden kann. Die Reise aber, auf die er uns schickt, schmückt er mit so viel Emotionen aus, dass man am Ende glaubt, selbst in Jacobs Haut gesteckt zu haben. Und das macht gute Literatur schließlich aus. Hier Bin Ich ist, wenngleich sein gewöhnlichstes, auch sein intensivstes Buch.

 

Hier bin ich
von Jonathan Safran Foer
Kiepenheuer & Witsch, 26 €
Gebunden, 688 Seiten

oder

Here I Am
Penguin Books, 6,99 €
Taschenbuch, 570 Seiten

 

Lena Prisner

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