Auf den Spuren eingebildeter Tiere

Der Literaturbetrieb ist in hellem Aufruhr, Amazon und Apple zählen die Stunden bis zum Untergang des Abendlandes und die Frage bleibt: Was können eBooks eigentlich nicht? Streiflichter aus dem novemberlichen Wien und der Geschichte eines Kulturguts.

Gewöhnt an ähnliche Veranstaltungen in Berlin, laufe ich etwas zu spät durch den Torbogen in der Wiener Bäckerstraße. Irgendwie wirkt es nicht, als sei hier Wien. Die Straße heißt nicht Gasse und das Haus sieht nicht aus, als stünde es in Wien. Den oberen Etagen sind weite Balkone vorgelagert. Vielleicht Verona oder Florenz. Aber hier ist Wien. Hinter den hellen halbrunden Fenstern stehen etwa 30 Menschen – sie sind wie ich hier, um die Premiere des „Zoo der imaginären Tiere“ zu erleben. Viele scheinen sich zu kennen; beinahe alle Mitarbeiter des kleinen Verlages Christian Brandstätter sind vor Ort. Sie drängen sich in den schmalen Gängen zwischen Regalen voller Fotobände und Bücher der Art: „Alle Werbe- und Gebrauchstexte Frank Wedekinds für die Firma Maggie & Co“. Die Buchhandlung Lia Wolf richtet sich an sehr spezielles Publikum; Leute, die sich nicht mit dem Einfachen zufrieden geben, dabei aber auch nicht zu hoch hinaus wollen. Kurzum: hier sammelt sich das Bürgertum Wiens.

Als Elisabeth Stein im kleinen, galerieartigen Nebenraum damit beginnt, den „Zoo der imaginären Tiere“ und seinen Autor vorzustellen, kehrt langsam Ruhe ein. Die grauen Schöpfe der Besucher werden immer wieder unterbrochen von szenigen Frisuren mit harschen Kanten. Ein Hauch Berlin?

 

Oder was eBooks nicht können

Schon seit längerem geht in der europäischen Verlagslandschaft ein Gespenst um: das eBook. Jürgen Neffe sprach schon 2009 in der Zeit davon, dass das gedruckte Buch als „Medium der Aufklärung“ mittelfristig „seine Message und mit ihr ein Stück Sinn und Sinnlichkeit“ verliere, „bis wir ‚Buch‘ nur noch gebrauchen wie heute die ‚Feder‘ der Autoren“ – nämlich rein metaphorisch. Neuen Schwung erhält die Debatte über den Untergang des Abendlandes durch kleinformatige Tablets, die Apple, Amazon & Co zum Jahresende 2012 auf den Markt bringen und dabei versuchen, sich in Preis wie Nutzerfreundlichkeit gegenseitig zu unterbieten. Trotzdem diese Entwicklung lange absehbar war – die wenigsten Verlage in Deutschland, Österreich oder der Schweiz haben sich tatsächlich darauf vorbereitet.

Kein Wunder also, dass ein Großteil der Buchbranche sich nun in panikartigen Abwehrreflexen ergeht. Was Jürgen Neffe aber außerdem schon 2009 schrieb: „Wir werden mit Büchern leben können wie nie zuvor – und dabei, wenn es uns gefällt, immer noch auf Papierversionen zurückgreifen. Solche Bücher wird es immer geben.“

Ein bisschen wirkt es so, als hätten der Brandstätter Verlag und die Universität für Angewandte Kunst in Wien genau diese Mischung aus Trotz, Abwehr und Neugier vor Augen gehabt, als sie für Ernst Strouhals Essay „Zoo der imaginären Tiere“ einen Gestaltungswettbewerb ausschrieben. Das Rennen machten schlussendlich Dasha Zaichenko und Lukas Novak mit ihrem Entwurf in Form eines Leporellos. Zwar lässt sich das Buch ganz normal und linear lesen, dennoch geht das Konzept der beiden Studenten darüber hinaus: erst aufgeklappt kommen die Zeichnungen zum Vorschein; die Buchseiten werden gleichsam zum Zaun des Tiergartens. Ob das nun als Bollwerk gegen eine quasi elektronische Ausgabe von Attila dem Hunnen für die Buchbranche zu verstehen ist? Eine Portion Selbstironie scheint jedenfalls dabei zu sein.

 

„Ich lese jetzt zwei Stunden, wenn’s recht ist?“

Ganz unverkrampft und wenig akademisch beginnt Ernst Strouhal dann auch mit der Lesung. Sein leichtes Österreichisch macht es mir nicht schwer, mich darauf einzulassen. „Ich lese jetzt zwei Stunden, wenn’s recht ist?“ Einige schmunzeln nur, der Rest lacht kurz auf.  Er tut es nicht. Strouhal nimmt uns nun mit auf einen Streifzug durch Kunst und Kultur von der Steinzeit bis ins 20. Jahrhundert. Kafkas Affe Rotpeter aus dem „Bericht an eine Akademie“ kommt ebenso vor wie auch Picassos Hahn oder Schweinchen Babe – immer der Frage folgend: Was bedeuten all diese Tiere für die Künstler und ihre Arbeit? Und was sich daraus ergibt, ist eben jener Tiergarten voller schillernder Gestalten des europäisch-humanistischen Bildungskanons und deren Imaginationen, ohne dabei Berührungsängste gegenüber der Pop-Kultur zu entwickeln.

 

„Traumgebäude einer Wildnis“

Ernst Strouhal erstellt in kurzweiliger Sprache eine Art Atlas, der von musikalischen Tieren wie den Tschaikowskyschen Schwänen bis hin zu Mischwesen à la Zettel aus dem Sommernachtstraum oder allegorischen Tieren, „die Teil des poetischen Volksvermögens“ geworden sind, reichen. Dieses Traumgebäude beschaut sich selbst indem es den Blick nach außen richtet, über Zeit und Raum hinweg.

Der Verlag – wohlkalkulierend – hat sich von diesem großen Versuch nur stellenweise anstecken lassen. In kleinster Auflage von 500 Stück erscheint Strouhals Essay pünktlich zum Weihnachtsgeschäft in nummerierten Exemplaren. Ein Geschenkbuch, wie es im sprichwörtlichen Buche für Verlagswirtschaft zu stehen scheint. Oder eben doch mehr als das. Letztendlich sind dem Buch weitaus mehr als diese 500 Leser und eine Zukunft abseits der hugendubel’schen Kochbuchecke zu wünschen.

Später am Abend gibt es Blauen Zweigelt, Wasser und Brot – um es mit Strouhal zu sagen: „In der Eventkultur der Städte haben Tiergärten deshalb gute Karten.“

 

Ernst Strouhal: Zoo der imaginären Tiere. cbv 2012. 35€.

Andere Rezensionen u.a. bei profil und  Ö1.

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