Die Überflüssigkeit der Dinge

Ina wartet auf ein „Später“. Sie wartet auf das Leben, das sie wirklich leben will. Bis dahin trinkt sie viel Gin Tonic, hat etwas Sex, genug Schlaf und jobbt in der Theaterkantine. Hinter den Theaterkulissen begegnet sie ihrem Vater, den sie nie kennengelernt hatte. Und verliebt sich dann auch noch unglücklich in eine Schauspielerin. Janna Steenfatt widmet ihren Debütroman Die Überflüssigkeit der Dinge einer Protagonistin, die zwischen Antriebslosigkeit und Tatendrang durchs Leben wandelt.

Die Überflüssigkeit der Dinge
Foto: Eileen Schüler

Vor drei Jahren hat Ina ihr Germanistik- und Philosophiestudium abgeschlossen. Seitdem wohnt sie bei Falk und verbringt mit ihm die Nächte auf St. Pauli. Mit einem Auskommen, genug Schlaf, etwas Sex und viel Gin Tonic lebt sie eigentlich zufrieden – eine vorübergehende Phase bis das richtige Leben beginnt. Als sie jedoch erfährt, dass ihre Mutter bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, holen sie ihre Gedanken und Kindheitserinnerungen ein. Obwohl sie ihren Vater nie kennengelernt hat, sehnt sie sich nach ihm. In dem Moment nimmt er ein Engagement am Hamburger Theater an und inszeniert Shakespeares Sommernachtstraum. Um ihrem Vater näher zu sein, zögert Ina nicht lange und jobbt als Kellnerin in der Theaterkantine. Dort verliebt sie sich in die Schauspielerin Paula. Doch Paula sucht nicht nach Liebe, sondern nur nach Unverbindlichkeit.

Schwierige Mutter-Tochter-Beziehung

Ina hatte sich den Tod immer nur als Möglichkeit vorgestellt. Als ihre Mutter gegen einen Baum fährt, wird aus einer Möglichkeit jedoch Realität. Lauter Dinge sind nun zu tun: Die Bestattung muss organisiert und der Nachlass der Mutter geregelt werden. Zum Glück hat sie ihren Mitbewohner Falk an ihrer Seite, der die Dinge so hinnimmt, wie sie nun mal sind.

Eigentlich hat Ina ihre Mutter nicht alt werden sehen und in ihrer Erinnerung gibt es nur Bilder der Mutter, die langsam undeutlich verschwimmen. „Ich hatte ein Bild von ihr im Kopf, das dunkle Haar zum Kranz geflochten, eine Seeräuber-Jenny im roten Kleid […]. Dann das andere Bild, am Tisch in dieser dunklen Küche, in diesem viel zu großen Haus, ihr graues, ernstes Alkoholgesicht“, erinnert sich Ina an die Gestalt ihrer Mutter. Ihre Mutter war Schauspielerin und eine exzentrische Person, die zu viel Alkohol trank und viele Männer hatte. Sie spricht kühl und distanziert von ihrer Mutter und nennt sie auch nicht liebevoll „Mama“, weil Mutter ihr das früher untersagt hatte und lieber mit Vornamen von ihrer Tochter angesprochen werden wollte. Während die Familie für die Mutter nur ein Konstrukt ist, sehnt sich Ina nach Geborgenheit und Liebe. Es gibt nur

[…] eines der wenigen Dinge, die Mutter und ich immer geteilt hatten: die Fremde darüber, irgendwo fremd zu sein, sich aufhalten zu dürfen für kurze Zeit […].

Hinter den Theaterkulissen den fremden Vater finden

In Janna Steenfatts Debüt gibt es nicht nur eine schwierige Beziehung zur Mutter, sondern auch ein fremdes Verhältnis zum Vater. Ihre Mutter meinte einmal voller Verachtung, dass er nach Amerika gegangen sei und mit viel Alkohol konnte Ina ihr seinen Namen entlocken. Mehr als den Namen, Wolf Eschenbach, weiß Ina aber nicht über ihren Vater, da kennt selbst Google „zwanzig- oder dreißigtausend Dinge“ mehr über ihn. Beim Googlen erfährt sie jedoch, dass er am Berliner Ensemble inszeniert. Daraufhin kauft sie sich eine Theaterkarte und geht auf die Premierenfeier. Sie ist aufgeregt und nervös, aber ihr Vater wird nicht aufmerksam auf sie.

Auch als er Ein Sommernachtstraum im Hamburger Theater inszeniert, nimmt er sie kaum wahr, obwohl sie sich nach seiner Aufmerksamkeit und seinen Blicken sehnt. Doch manchmal lässt sich die Zeit nicht zurückdrehen und Ina spürt „ein Bewusstsein für die Kürze und Unwiderbringlichkeit des Lebens […]“


Dinge beobachten

Letztendlich bleibt die Protagonistin immer nur die Beobachterin von Handlungen und Dingen. Sie wandelt zwischen einer Antriebslosigkeit und einem Tatendrang durchs Leben. Der Roman schwankt dadurch zwischen einer erdrückenden Stimmung und der Hoffnung, dass das Leben irgendwie weiter geht. Als Leser*innen möchte man Ina am liebsten aufmunternd in den Arm nehmen und ihr einen Gin Tonic in die Hand drücken.

Steenfatt versteht es, die Dinge so aufzuzählen, dass ein malerisches Bild im Kopf der Leser*innen entsteht. Durch die langen Relativsätze wird der Lesefluss auf den 236 Seiten verlangsamt und sich damit mehr den überflüssigen Dingen zugewandt. Die Autorin schafft wunderbare Wortschöpfungen, wie beispielsweise „Draußennurkännchenkaffee“, über die man gerne stolpert und schmunzelt. Auffallend ist auch, dass die direkte Rede im Debüt kursiv gedruckt ist, wodurch die Ich-Perspektive verstärkt zum Vorschein kommt.

Janna Steenfatt schrieb während eines Autor*innenstipendiums im Literarischen Colloquium Berlin ihren Roman. Es ist ein empfehlenswertes Debüt, besonders für theateraffine Leser*innen oder, um sich einfach mal den Dingen hinzugeben.

Janna Steenfatt: Die Überflüssigkeit der Dinge, Hoffmann und Campe, 2020.
Eileen Schüler

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