„Sowas macht Mut“

Christian Koch führt seit über zwanzig Jahren eine Krimi-Buchhandlung im Kreuzberger Bergmannkiez – das Hammett. Im Interview spricht er über Krisen, Chancen, Solidarität und darüber, wie sich Amazon sein Stück vom Kuchen nimmt.

Interview von Fabian Schroer

Christian Koch (c) Fabian Schroer

Wie bist du, als geborener Hannoveraner, nach Kreuzberg gekommen und wie kamst du dann ans Hammett, die Krimi-Buchhandlung in der Friesenstraße?

Als halbwegs junger Mensch habe ich mich immer geweigert Berlin zu betreten. Damals war ich in der Punk- und New-Wave-Szene unterwegs und alle Gleichgesinnten schwärmten von dieser Stadt – „da musst du hin, tausend Konzerte, Clubs und sonst was!“. Ich dachte mir, da machst du nicht mit. Irgendwann kontaktierte mich dann meine Exfreundin, die inzwischen in Berlin wohnte und ich bin sehr widerstrebend doch mal hier hingefahren. Wir verliebten uns wieder und ich beschloss – ich zieh doch nach Berlin. Das war im Frühjahr 1998. Damals habe ich noch in meinem alten Job als Zaunbauer gearbeitet, in dem ich zwar ordentliches Geld verdiente, aber leider nicht mit meinem Chef auskam. Ich erfuhr dann, dass eine alte Schulfreundin mittlerweile einen kleinen Buchladen im Bergmannkiez führte. Die hatte das Hammett 1995 gegründet und suchte noch Leute.

Und das hat dich gereizt?

Ja, das fand ich irre – eine Krimibuchhandlung. Ich habe immer gerne und viel Krimis gelesen, aber ich wäre niemals auf die Idee gekommen, selbst eine Buchhandlung zu eröffnen. Nachdem ich angefangen hatte hier zu jobben, erfuhr ich nach einiger Zeit, dass sie vorhatte, den Laden zu verkaufen. Obwohl ich ja ein absoluter Neuling war, dachte ich mir direkt – da hab ich Bock drauf. Ich habe dann eine Nacht drüber geschlafen und schließlich im August 1999 das Hammett übernommen.

Was hat sich seitdem verändert?

Besonders das ganze drumherum. Als ich 1998 nach Berlin kam, gab es auf der Bergmannstraße ungefähr vierzig verschiedene Geschäfte. Heute gibt es noch zehn. Der Rest sind Cafés, schlechte Restaurants, schlechte Bars und Kneipen – fast ausnahmslos. Früher konntest du hier bummeln, in alten Trödelläden was suchen und finden. Das ist leider komplett verschwunden. Der damals etwas abgerockte Kiez hat sich sehr verändert und ist heute zu einer der begehrtesten und teuersten Lagen in ganz Berlin geworden. Hier zieht keiner mehr weg, wenn er nicht muss. Speziell in den letzten zehn Jahren fällt das sehr auf. Am Laden selbst habe ich eigentlich nicht so viel verändert. Ich habe die bestehende Internetseite – das Hammett war eine der ersten Buchhandlungen mit eigener Internetseite – weiterentwickelt. Das war eine kluge Entscheidung. Die Veranstaltungen habe ich auch ein bisschen ausgebaut.

Es wird immer wieder gesagt, der Buchmarkt sei in der Krise. Das Hammett hatte kürzlich auch finanzielle Probleme – unter anderem aufgrund der Baustelle vor eurer Tür. Kannst du sagen, was weitere Gründe dafür waren?

Das waren verschiedene Faktoren. Zum einen hat der Buchhandel zu spüren bekommen, dass die Menschen tatsächlich weniger Zeit mit Lesen verbringen. Nicht, weil sie das Buch doof finden, sondern weil sich der Lebensrhythmus verändert hat und zum Beispiel die Qualität von Serien so sehr gestiegen ist. Das ist eine andere Aufnahmeform. Das geht einfacher als lesen. Es gab früher im Buchhandel sicherlich goldene Zeiten, ohne Konkurrenz für kleine Buchläden. Aber hier in Berlin begann schon Mitte der 1990er eine große Konkurrenz zu wachsen – nämlich die großen Filialisten, wie Hugendubel und Thalia. Dadurch, dass das Hammett ja damals eine ziemlich junge Buchhandlung war, habe ich das aber eigentlich immer als normal empfunden und von keiner Krise gesprochen. Zunehmend merkt man auch, dass viele bei Amazon kaufen. Auch das E-Book spielt eine kleine Rolle. Das sind alles Kuchenstücke die dir ein bisschen was vom Jahresumsatz wegnehmen. Das alles bringt uns nicht um, nur führt es dazu, dass sowas wie eine sechzehnmonatige Baustelle, mit zwanzig Prozent Umsatzeinbußen, die auch so extrem hart gewesen wäre, dann fast zum Kollaps führt.

Spielt Amazon denn eine große Rolle?

Bei Amazon muss man einfach sagen, die haben aufgrund der Buchpreisbindung dem klassischen deutschen Buchhandel nur einen Vorteil gegenüber – nämlich Schnelligkeit. Amazon hat in den ersten Jahren in Deutschland riesige Verluste mit dem Segment Buch gemacht. Das ist auch der Grund, warum sie Prime eingeführt haben. Viele finden das toll, ein Buch innerhalb von einem Tag durch irgendeinen halbtoten Paketboten geliefert zu bekommen und dafür dann auch noch 78 Euro jährlich zu zahlen. Im Schnitt verschickt Amazon glaube ich pro Kunde sechs Bücher im Jahr. Dafür kann ich das fast mit dem ICE hinbringen. Sie machen das natürlich auch, um die Leute als ganze Kunden an sich zu binden. Die wollen, dass du auch deine E-Geräte, heutzutage ja sogar Lebensmittel, da kaufst. Haustiere würden sie wahrscheinlich auch verkaufen, wenn das nicht so schwer wäre mit der Transportversicherung. Amazon nimmt sich auf jeden Fall sein Stück vom Kuchen.

Aber der Unterschied zwischen eurem und deren Service ist eigentlich nur die Lieferung. Schnell seid ihr doch auch, oder?

Ja, das stimmt natürlich. Diesen Samstag um zehn nach fünf kam noch eine Kundin rein und hat was bestellt. Die war völlig von den Socken, dass auch dieses Buch schon am Montag mitkommt. Durch die Großhändler haben wir in Deutschland eine sehr hohe Qualität im Service. Es gibt nur noch einen Dienst, der schneller ist und das ist der deutsche Apothekendienst. Wobei ich das bei wichtigen Blutkonserven und Medikamenten auch durchaus prima finde. Bei der ganzen Amazon-Geschichte geht es dann wahrscheinlich doch auch viel um Bequemlichkeit. Das möchte ich aber keinem Kunden vorwerfen. Es ist nun mal oft so, wenn sich Menschen an etwas gewöhnt haben, möchten sie nicht mehr darauf verzichten.

Was würdest du den Filialisten in diesem Kontext vorwerfen?

Dass sie mit Büchern Geld verdienen, kann ich ihnen nicht vorwerfen. Das tun wir auch. Ich würde ihnen einen Vorwurf machen, den man auch Amazon machen kann – dass sie ihre Größe ausnutzen, um den Verlagen Rabatte abzupressen. Das geht tatsächlich auf Kosten der kleinen. Es ist kein Geheimnis, dass grade große Verlage über das gesetzlich erlaubte von 50 Prozent Rabatt hinausgehen. Das darf zwar auf keiner Rechnung stehen, aber der Filialist bekommt dann halt 15.000 Euro Werbezuschuss oder sie bekommen das anderweitig getarnt. Das finde ich nicht richtig. Auch die Verlage haben sich da falsch verhalten. Wenn ich als Verlag sage, ich muss alles schlucken, damit ich meine Bücher verkauft bekomme, dann muss ich auch alles schlucken. Unter sowas leidet irgendwann die Qualität der verlegten Bücher. Die Spitzentitel werden immer mehr beworben und die Vielfalt an Angeboten nimmt ab. Dieses „sorry, das ist schräg, das lesen vielleicht nur tausend Leute, aber du kannst es kaufen“, das Deutschland schon zu meinen Kinderzeiten ausgezeichnet hat, geht verloren.

Welche anderen Akteure siehst du in der Verantwortung?

Es gibt einen Punkt, der mich bis heute ärgerlich macht. Dass die sogenannte Standesvertretung der deutschen Buchhändler und Verlage – der Börsenverein – nur auf Druck einzelner Mitglieder überhaupt in die Diskussion eingestiegen ist. Der Börsenverein hat das Thema Onlinehandel lange völlig ausgeklammert und auch das Problem mit den großen Filialisten ignoriert, mit der Begründung – die sind ja bei uns Mitglied. Letztendlich bin ich dann 2008 relativ wutentbrannt ausgetreten. So eine Bequemlichkeit als Standesvertretung können sich in Deutschland vielleicht noch die Schornsteinfeger leisten, weil die keine Konkurrenz haben. Wir leben in einer modernen Welt. Da muss man auch mal reagieren und junge Leute ins Boot holen oder zumindest mal fragen.

Findest du, dass auch politisch etwas geschehen sollte?

Ich würde es mir wünschen. Ich halte das Kulturgut Buch für eminent wichtig für eine Gesellschaft. Allerdings ist es auch immer schwierig, wenn der Staat irgendwo eingreift. Wo soll man anfangen und wo aufhören? Ich würde mir politisch mehr Mut wünschen und dass mal klar gemacht würde, dass es zu einem Konzern wie Amazon, den ich wirklich abgrundtief hasse, Alternativen gibt. Warum soll nicht die Stadt Berlin, die sich bitterlich beklagt, dass Kieze veröden und der Einzelhandel stirbt, etwas mehr in den lokalen Buchhandel investieren. Die kriegen es hin, ein Kulturgut wie die Oper mit hohen Mitteln zu subventionieren, welches definitiv nur eine kleine Gruppe von Interessenten bedient. Ich bin gar nicht dafür das einzufrieren, aber ich finde schon, dass das Buch, grade auch als Gegenpol zum Digitalen, schützenswert ist. Der Buchhandel kann mit Wissen und Beratung punkten. Das hast du online nicht. Ocelot auf der Brunnenstraße zum Beispiel, die haben mit einem Paukenschlag begonnen und deren Konzept ist super. So etwas finde ich schon förderungswürdig.

Ihr hattet aufgrund der Krise einen Solidaritätsaufruf gestartet. Das hat funktioniert?

Absolut. Wir hatten einen außergewöhnlich guten November und Dezember. Das ist wirklich riesig. Wir haben den Aufruf an 550 Newsletter-Abonnenten geschickt und als Flugblatt hier im Laden ausgelegt. Und dann stand es auf einmal, ohne unser Zutun, in allen Zeitungen. Es kam eine Riesenwelle an Solidaritätskäufen und Spenden. Wir haben sogar einen anonymen Brief mit Bargeld bekommen, in dem stand „Ich hoffe es hilft euch, gegen Amazon, Netflix und Co. zu bestehen“. Sowas macht Mut. Genau wie die ältere Dame, die uns acht ihrer besten Bücher geschenkt hat. Das ist schon etwas, was dein Herz berührt. Wir haben gemerkt, wie groß doch das Interesse ist, einer kleinen Institution wie dem Hammett zu helfen. So eine Krise lähmt. Das hat auch privat ganz schön an mir gerüttelt. Und es ist natürlich ein ganz anderes Standing, wenn du merkst, die Leute unterstützen dich und du gut gelaunt in den Laden gehst und den ganzen Tag damit verbringst, was du am liebsten tust, nämlich Bücher zu empfehlen und zu verkaufen.

Abschließend nochmal der Frage-Klassiker: Wo siehst du dich in fünf Jahren?

Das ist eine Frage, die ich mir oft stelle. Mein Wunsch ist, den jetzigen Schwung beizubehalten, daraus zu lernen und zu überlegen, was wir Neues machen können. Neben Lesungen und Werkstattgesprächen, wollen wir ein Format etablieren, in dem wir Leute aus verschiedensten Bereichen einladen, die mit dem Thema Krimi zu tun haben. Das kann ein Kriminaltechniker vom LKA sein, der zum Beispiel was über Stimmenanalyse erzählt, genauso wie ein Berliner Verleger, um auch mal die andere Seite kennenzulernen. Auch Übersetzer und Lektoren können spannende Geschichten erzählen. Wir haben schon angefangen, ein bisschen bei den Leuten vorzufühlen und sind positiv überrascht. Auch Autoren haben wissen lassen, dass sie sowas gerne machen würden. Und ein wichtiges Ziel für mich ist, weiter jüngere Leser zu begeistern. Unsere Bestsellerliste, die Postkarten und Aufkleber kommen, glaube ich, schon ganz gut an. Ich würde mir aber auch weiterhin neue Ideen von unserer Seite aus wünschen.

https://www.hammett-krimis.de/

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