Ein Aufruf zu Equal Care

Nach Ende ihres Erwerbsleben bekommen Frauen* 46% weniger Rente als Männer. Über 50% von ihnen arbeiten zwischen 30 und 65 Jahren in Teilzeit, aber nur 7% der Männer*. Das heißt nicht, dass Frauen* weniger arbeiten, aber, dass sie weniger lohnarbeiten. Die Lohnarbeit der Frauen* findet dann oft in schlechter bezahlten Care-Berufen statt, 80% der beruflichen Care-Arbeit wird von ihnen geleistet. Almut Schnerring und Sascha Verlan nehmen das zum Anstoß, um sich in Equal Care. Über Fürsorge und Gesellschaft genau diese Care-Arbeit im beruflichen, aber auch privaten Umfeld näher anzuschauen, zu fragen, was in unserer Gesellschaft eigentlich als wertvolle Lohnarbeit oder selbstverständliche Nebenbei-Arbeit gilt und um zu zeigen, warum die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern im Bereich der Fürsorge der heimliche Motor des Kapitalismus ist.

Ist Care-Arbeit gerecht verteilt?. Foto: Karolin Kolbe

Den Begriff Puppenmutti, klar, den kennt man. Kleine Mädchen* in Puppenküchen mit Kinderwagen und einem Plastikbaby spielen Fürsorge-Arbeit. Aber warum kennen wir den Begriff Puppenvati nicht? Almut Schnerring und Sascha Verlan rollen das Problem der ungleichen Fürsorgearbeit von Kindheit an auf: Mädchen* werden häufiger dazu angehalten, im Haushalt zu helfen, Dinge, die sie nicht schaffen vielleicht lieber zu lassen und sich öfter mal um die Geschwister zu kümmern. Von klein auf haben Mädchen* pro Tag weniger Zeit, die sie in Bildung, Erholung und Freizeit stecken können. Jungs* hingegen hören öfter, dass sie es gleich nochmal versuchen sollen, wenn es nicht klappt, sie werden ermutigt, dranzubleiben. Aber ihnen wird es verwehrt, eine eigene Care-Biografie zu entwickeln, Fürsorge zu erlernen und Vorbilder dafür zu finden. Bereits hier geht es los mit der Ungleichheit im Bereich der Care-Arbeit, die sich in unserer Gesellschaft strukturell weiter durchs ganze Leben zieht und am Ende keinem Geschlecht hilft.

Unbezahlte Care-Arbeit als Bestandteil des Kapitalismus

Care ist die Grundlage des Lebens und die Voraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft, so basal, dass wir meinen, gar nicht darüber reden zu müssen. Allerdings ist unser Schweigen kein Zeichen von Anerkennung, sondern von Ignoranz. So vieles andere scheint wichtiger ,als das bisschen Haushalt‘ oder die Versorgung des pflegebedürftigen Großvaters.

Care-Arbeit wird nicht nur im beruflichen, sondern auch im privaten Bereich von Frauen* ausgeübt. Je körpernäher die Arbeit – zum Beispiel das Waschen einer angehörigen Person – desto weiblicher. Die Fürsorgearbeit der Männer* ist dann oft weniger körperlich – das Reparieren eines Fahrrads zum Beispiel. Während Frauen* mehr unbezahlte Care-Arbeit zu Hause erledigen, gehen Männer* einer besser bezahlten Lohnarbeit mit einer höheren Anzahl von Stunden nach, als Frauen* es mit der Doppelbelastung können. Gesellschaftlich und finanziell ist die Gewichtung klar: Erwerbstätigkeit ist wichtige Arbeit und wird deshalb mit Geld entlohnt, die Rente ist höher. Private Care-Arbeit ist eine unbezahlte Nebensache, ganz selbstverständlich und wird weder entlohnt noch taucht sie später in der Rentenzahlung auf.

Weil Haushalte als außer-wirtschaftlich definiert werden, dort ja nur Reproduktionsarbeit geleistet wird, und damit keine aus wirtschaftlicher Sicht wertschöpfende, produktive Arbeit, wird denen, die im Haushalt tätig sind die Rolle der Konsumierenden, der Verbrauchenden zugewiesen. Dadurch verstärkt sich die Hierarchie, sinkt die Wertschätzung der Care-Arbeit weiter. Denn was andernorts erwirtschaftet wird (von Männern), wird im Haushalt ,nur‘ verbraucht (von Frauen).

Der Kapitalismus profitiert von der Arbeitsausbeutung an Frauen* und ihre geleistete Care-Arbeit ist grundlegend für das System, in dem eine andere Person viel Zeit in die Lohnarbeit stecken kann. Da wo auch Frauen* einen Großteil der Zeit erwerbstätig sind, wird die Care-Arbeit häufig verschoben: in den beruflichen Bereich, wo sie auch hier meist von Frauen* ausgeübt wird, oder in die Schattenwirtschaft.

Jede Menge Gender Gaps

Schnerring und Verlan erläutern die vielen Gaps, die sich zwischen den Geschlechtern auftun: Der Gender Care Gap führt zum Gender Pay Gap und der zum Gender Pension Gap. Es gibt Gründe, warum die Umweltbewegung weiblich ist – Sorgearbeit für die Natur -, warum Frauen* schneller ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie ,Nein‘ sagen und weshalb Werbung die ungleiche Care-Arbeit schon früh prägt. Almut Schnerring und Sascha Verlan plädieren für eine fürsorgliche Gesellschaft, fürsorgliche Unternehmen und einen fürsorglichen Staat und tun dies verständlich mit vielen Beispielen und Zahlen. Sie betonen immer wieder, dass hier keine Schuldfrage gestellt wird, sondern dass die Gesellschaft bereits systemisch ungleich funktioniert und das erkannt und geändert werden muss. Außerdem haben all die Gender Gaps nicht nur negativen Einfluss auf Frauen*, auch Männer* leiden darunter:

Sie achten nicht auf die Signale des eigenen Körpers, suchen (zu) spät medizinische oder psychologische Hilfe und denken seltener an die (gesundheits-)schädlichen Folgen des eigenen Verhaltens und Handelns, für andere und insbesondere auch für sich selbst. In der statistischen Summe ergibt das einen Unterschied in der durchschnittlichen Lebenserwartung von fünf Jahren zugunsten der Frauen.

Im Endeffekt nützen die ungleichen Rollenverteilungen also der Wirtschaft. Wie schön wäre es, wenn alle Menschen gleichberechtigt eine Care-Biografie und eine Erwerbs-Biografie entwickeln könnten, wenn Care-Arbeit als unerlässliche und zu entlohnende Arbeit angesehen würde:

Equal Care in all ihren Dimensionen schafft die Voraussetzungen für eine bessere Welt.

Almut Schnerring / Sascha Verlan: Equal Care. Über Fürsorge und Gesellschaft, Verbrecherverlag 2020.
Karolin Kolbe
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