Hilfe, mein Schwarm ist fiktiv!

Wir alle kennen dieses Gefühl: das Herz schlägt schneller, man kann nur noch an diesen einen, diesen ganz besonderen Menschen denken, kann sich nicht von ihm losreißen, möchte ihm all seine Zeit schenken … Was aber passiert, wenn dieser Mensch zwischen zwei Buchdeckeln lebt?

© Katharina Hierling

Ich gebe es zu, ich bin eine schrecklich emotionale Leserin. Wenn ich ein Buch wirklich gut finde, stecke ich sehr viele Gefühle in diese wenigen Stunden, die ich mit ihm verbringe. Ich weine (nein, ich heule!), ich muss Schreie unterdrücken, ich muss das Buch immer wieder zuklappen, weil ich die Spannung kaum ertrage. Und dann gibt es ab und zu diesen besonderen Moment, der Moment, in dem ich plötzlich eine absolute Schwärmerei für meinen Helden entwickle. Natürlich unterscheidet sich dieses Gefühlswirrwarr, das sich irgendwo zwischen 300 und 500 Seiten entwickelt, von dem zu einer realen Person. Dennoch ist das Gefühl des Verlustes ebenso schlimm. Manchmal kaum auszuhalten. Das diese Empfindung gar nicht so selten ist, zeigt sich darin, dass es sogar ein Wort dafür gibt: Fiktionphilie.

Meine längste Schwärmerei gilt einem hochgewachsenen, norwegischen Kommissar. Harry Hole, ins Leben gerufen von Jo Nesbø. Harry und ich haben schon viel Zeit miteinander verbracht. Ich habe seine schlimmsten Stunden miterlebt und war stets an seiner Seite. Auch wenn er mittlerweile wohl kein wirklich schöner Mann mehr ist, sondern durch Narben entstellt , hat er für mich doch nach wie vor nicht an Anziehungskraft verloren. Aber was ist es, das mich diese Figur einer Kriminalserie nicht vergessen lässt? Es ist wohl seine Loyalität. Harry gibt nicht auf, er kämpft für das, was er liebt und würde dafür alles geben. Wenn ich eine schlaflose Nacht habe oder mit den Strapazen des echten Lebens zu kämpfen habe, kann ich mich stets auf ihn verlassen. Er ist immer für mich da. Naja, meistens jedenfalls. Denn genau hier liegt die Gefahr der Protagonistenschwärmerei: Man weiß von Anfang an, dass man nur einige Stunden miteinander hat. Man kann sie dehnen, kann Seiten oder auch das ganze Buch (ich bin bekennender Mehrfachleser) wieder und wieder lesen, doch es wird nie so sein wie beim ersten Mal. Trotzdem ist an ein anderes Buch nicht zu denken. Zu groß ist der Schmerz des Verlustes. Empfehlenswert sind daher Buchserien. Wenn alles gut geht, währt die Trennung meist nicht länger als ein Jahr – dann erscheint der nächste Band. Im Prinzip also eine Fernbeziehung – und davon hat man ja nun schon oft gehört, dass das ganz gut klappen kann.

Wie schlimm der Trennungsschmerz bei einmaligen Erlebnissen sein kann, musste ich zuletzt bei John Greens „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ feststellen. Von Beginn an hat sich mein innerer Teenager in Augustus Waters verliebt. Herrje, es sind wahrlich viele Tränen geflossen, der Schmerz war groß, die Gefühle intensiv. Bei Harry ist das zum Glück etwas konstanter. Umso sehnsüchtiger warte ich auf unsere nächste Begegnung. Hoffentlich wird es eine geben. Und hoffentlich kann mich Harry dann wieder so sehr in seinen Bann ziehen. Denn auch wenn es zuweilen wirklich nervenaufreibend ist, ich bin sehr glücklich, dass ich so viele Gefühle zwischen zwei Buchdeckel schieben kann!

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