Leipziger Buchmesse 2019 – unsere Highlights

Frühlingszeit ist Messezeit. Wie jedes Jahr zieht die Leipziger Buchmesse  Zehntausende Buchbegeisterte in die Messehallen der sächsischen Kulturstadt. Gastland war dieses Mal Tschechien. Bei beinahe sommerlichen Temperaturen vom 21. bis 24.03. konnte ein Besuch da schonmal schnell zu einer Mischung aus Saunagang und Festival-Geschubse werden. Fünf Litaffin-Autorinnen haben sich trotz allem nicht abschrecken lassen und berichten für euch über ihre Messehighlights zwischen Cosplay-Samurai-Held*innen und Asia-Nudelbox.

Das Leipziger Messegelände im Blick © Marie Kristin Gentzel

 

Marie hat sich die Lyrikempfehlungen 2019 angehört, die man übrigens auch im Netz findet. Ihr Fazit: unbedingt selbst lesen!

Die Jugend liest ja überhaupt nicht mehr… © Marie Kristin Gentzel

Empfohlen wurde zum Beispiel „Wer A sagt“ von Sandra Burkhardt. Eigentlich hatte die Schriftstellerin im Aquarium die verschwimmenden Bahnen von Fischen und anderen Meerestieren zeichnen wollen. Aber die Bahnen wollten sich nicht zeichnerisch einfangen lassen. Statt sich zu ärgern, schuf die Schriftstellerin aus dieser Erfahrung heraus ein Sammelsurium mäanderner Texte mit darauf abgestimmten Ornamenten. Etwas enttäuscht waren wir, dass die Autor*innen ihre eigenen Texte wenig ausdrucksvoll vortrugen. Fast wirkte es, als wäre ihnen fremd, was sie selbst verfasst hatten. Ist zeitgenössische Lyrik für laute Vorträge etwa ungeeignet oder ist noch keine ansprechende Darbietungsform für sie gefunden? Wie sehr sollten Schriftsteller*innen auch Vortragskünstler*innen sein?


 

„Passe ich überhaupt ins Lektorat?“ Für all diejenigen, die sich diese Frage stellen, hielt die Lektorin Christiane Schmidt am Messefreitag, dem diesjährigen Karrieretag der Leipziger Buchmesse, einen Vortrag, den Katharina für uns besuchte.

Gebannte Zuhörer bei Schmidts Vortrag © Katharina Korbach

„Wer ins Lektorat will, muss das auch unbedingt wollen und wissen, was er kann“, betont Christiane Schmidt gleich zu Beginn. Seit 2014 arbeitet sie als freie Lektorin. Davor war Schmidt nach Stationen beim Berlin Verlag, Luchterhand und der Deutschen Verlags-Anstalt vier Jahre lang Cheflektorin bei Hoffmann und Campe. In ihrem Vortrag fokussiert sie sich auf zwei große Aufgabenbereiche des Lektorats: Akquisition und Textarbeit. Für erstere sei vor allem entscheidend, dass man sich als Lektor*in regelmäßig über das aktuelle Weltgeschehen informiere. Die Lektüre von Tageszeitungen sei unverzichtbar, um zu wissen, welche Themen relevant seien und davon ausgehend nach passenden Manuskripten suchen zu können. Über die Jahre baue man sich als Lektor*in im Idealfall ein persönliches Netzwerk auf, bestehend aus internationalen Agenten und anderen Lektor*innen. Die beiden deutschen Buchmessen in Frankfurt und Leipzig seien hierfür wichtige Fixpunkte, auf denen man sich mit Kolleg*innen austauschen könne.

Was die Beurteilung eines Textes angeht, so sollte man als Lektor*in laut Schmidt die Lektüre immer unbefangen beginnen. Man lese einen Text so lange, bis sich entweder Begeisterung oder ein Unbehagen einstelle, wobei letzteres ihrer eigenen Erfahrung nach wesentlich häufiger der Fall sei. Der Lektorierende halte dem Schreibenden einen Spiegel vor. Seine Aufgabe sei es, den „inneren Maßstab eines Textes“ zu erkennen und den Text davon ausgehend auf sein höchstes Niveau zu bringen.
Schmidt nennt zwei Charaktereigenschaften, die man unbedingt aufweisen sollte, wenn man im Lektorat arbeiten will: Ehrlichkeit und Demut.

Ehrlichkeit, um sich immer wieder die eigenen Wissenslücken eingestehen und entscheiden zu können, wann es eventuell sinnvoll ist, sich über die Richtigkeit einzelner inhaltlicher Aspekte eines Textes noch einmal rückzuversichern. Demut, da man nie vergessen dürfe, dass das Urteil, das man zu einem Text entwickele, stets ein subjektives sei. Man dürfe nicht in die Versuchung geraten, das Manuskript plötzlich als sein eigenes anzusehen, nur, weil man es redigiert habe. Die Entscheidung darüber, welche Änderungen am Text vorgenommen werden, treffe letztlich immer der Schreibende.


 

Lena hat die Sendung auf dem Blauen Sofa zu vier Debütant*innen der deutschen Gegenwartsliteratur besucht: „Die blaue Stunde: Debüts des Frühjahrs“.

Das Blaue Sofa, ein Gemeinschaftsprojekt von zdf, Deutschlandfunk Kultur, 3sat und Bertelsmann – zu Gast sind 4 deutsche Nachwuchsautor*innen: Helene Bukowski, Anselm Oelze, Yannic Han Biao Federer und Kenah Cusanit. © zdf Mediathek

Eine Sendung mit tollem Konzept, die an Metathemen und Vergleichen interessiert ist und den Blick für Zusammenhänge, Trends aber auch die Diversität der deutschen Literaturszene schärft. Die Kulturzeit-Moderatorin Vivian Perkovic spricht zu dieser blauen Stunde mit Helene Bukowski („Milchzähne“ – Aufbau), Kenah Cusanit („Babel“ – Hanser), Yannic Han Biao Federer („Und alles wie aus Pappmaché“ – Suhrkamp) und Anselm Oelze („Wallace“ – Schöffling).

Worum geht’s?
In den vier Frühjahrserscheinungen geht es kurz gesagt um die Ausgrabung unseres geistesgeschichtlichen Erbes in Babylon („Babel“), um die beiden realhistorischen konkurrierenden Naturforscher Alfred Russel Wallace und Charles Darwin („Wallace“), um vier Teenager aus der Generation der letzten Nicht-Digital-Natives, die mit einer sich wandelnden Moderne überfordert und in ihrer Identität erschüttert sind („Und alles wie aus Pappmaché“) und um die Überlebenden einer mysteriösen Umweltkatastrophe, die die Zivilisationsgeschichte neu schreiben („Milchzähne“).
Was die Moderatorin als Gemeinsamkeit der vier Debüts herausstellt, ist eine gewisse überfordernde Gleichzeitigkeit von neuer und alter Welt, unter der gesellschaftliche Gewissheiten ins Wanken geraten. Wie geht man mit den Herausforderungen seiner Zeit um?

Systematisch befragt Vivian Perkovic die jungen Autor*innen zum Entstehungsprozess und zur Poetologie ihrer Debüts und zieht Vergleiche zwischen den Büchern. So richtet sie das analytische Augenmerk nacheinander auf vier Schreibhandwerkszeuge: auf die Plotstruktur, Zeitkonzeption, Figurenzeichnung und den Schreibstil. Ganz erfrischend: Die Vier antworten als Noch-nicht-Medienprofis sehr ehrlich und unverstellt.

So erfährt man zum Beispiel, dass „Und alles wie aus Pappmaché“ spielerisch mit den Erwartungen an einen Plot bricht. Hier werden lediglich Schlaglichter auf unterschiedliche  Menschen gesetzt und sinnstiftende Zusammenhänge, ein Sich-Zusammensetzen eines großen Ganzen systematisch verweigert. Bei „Wallace“ ergibt sich der Plot dagegen geradezu notgedrungen aus dem zentralen Gegenfiguren-Paar, den beiden Gegenwelten zur Zeit der Entstehung der Evolutionstheorie und unserer Gegenwart auf der Seite eines Museumsnachtwächters.
Als nächstes werden Tempo und Dichte der erzählten Zeit betrachtet. Bei Federers „Und alles wie aus Pappmaché“ wird auffallend mit dem Wechsel von starker Raffung und Dehnung kokettiert, es ergeben sich anachronistische, disruptive Sprünge. Diese Form des Erzählens stand für den Autor im Vordergrund und hat in nächster Konsequenz seine Themen hervorgebracht: die Lebensentwürfe von vier Teenagern in Abgrenzung zu ihrer Elterngeneration.
Helene Bukowski interessiert in „Milchzähne“ eine vage, schwebende Unkonkretheit von Gegebenheiten. Leerstände reizen sie und sollen die Leser*innen anregen. Es geht der Autorin um eine Offenheit, die im Universellen verwurzelt ist. Sie geht beim Schreiben in erster Linie von Bildern und Atmosphären aus, Fakten sind da eher zweitrangig oder werden sogar bewusst verschwiegen, dafür erhält das Psychologisch-Zwischenmenschliche eine besondere Schärfe.
„Babel“ ist an einer Spezialisierung und Komplexisierung der Welt interessiert und spiegelt das stilistisch in sehr komplexen, langen Satzkonstruktionen, in aufwendigen, detailreichen Gedankengängen mit zahlreichen Nebensätzen und Einschüben. Die Geschichte der Ausgrabung wird in eine archäologische Sprache gefasst, die Zeitschichten durchbricht und kausale Zusammenhänge ans Licht befördert.

Die größte stilistische Auffälligkeit in „Und alles wie aus Pappmaché“ ist der atemlose Redeschwall, der die Geschichte in Wiederholungen, Reihungen, indirekte Dialogwiedergaben und in und-und-und-Aufzählungen gießt. Hier scheint dem Und eine ungewöhnlich exponierte Stellung zuzukommen. Es drückt die Gleichzeitigkeit, die Fülle an Ereignissen, die Momenthaftigkeit, die Abhängigkeit von Vorangegangenem und die Unausweichlichkeit des Kommenden aus, und stellt eine Möglichkeit dar, um nicht pathetisch oder floskelhaft über so Existenzielles wie Liebe und Tod zu schreiben.

Kenah Cusanit verfasst für sich ein literarisches Fazit, nach dem jedes Thema einer bestimmten Form entspricht, die perfekt funktioniert. Diese Form muss im Schreibprozess entdeckt werden, dabei muss der*die Autor*in auf seine*ihre Intuition vertrauen und ein Gespür für die eigene Fiktionswelt entwickeln. Eine Geschichte will, laut Cusanit, ‚ausgegraben‘ werden, dabei müsse man sämtliche Techniken, Theorien und Genreregeln vergessen. Während des Schreibprozesses gingen Schriftsteller*in und Figur so einen Tanz ein, da beide ihren eigenen Kopf haben.


 

Karolin war bei der Veranstaltung: Weiterschreiben: Schriftsteller*innen aus Krisengebieten auf dem deutschen Buchmarkt“, die von „Verlage gegen Rechts“ organisiert wurde.

„Weiterschreiben“, eine Diskussionsrunde von „Verlage gegen Rechts“ © Karolin Kolbe

Wie weiterschreiben, nachdem man als Autor*in das eigene Land verlassen musste? Das Aktionsbündnis „Verlage gegen rechts“ setzt sich in dem Gespräch „Weiterschreiben: Schriftsteller*innen aus Krisengebieten auf dem deutschen Buchmarkt“ mit den arabischsprachigen Autor*innen Widad Nabi und Ramy al-Asheq mit dieser Frage auseinander. Wie ankommen im deutschen Literaturbetrieb, wie sehr mit den Labels „Krisengebiet“, „Geflüchtete*r“ und „Migrant*in“ arbeiten, wie wahrgenommen werden?

Im Gespräch mit den Autor*innen wird deutlich, dass sich beide wünschen, primär unter dem Label „Autor*in“ gelesen zu werden und weniger als „Flüchtlingsschreiber*in“ oder „geflüchtete*r Autor*in“. Ramy al-Asheq erklärt: „Geflüchtetsein ist keine Identität, es ist ein Zustand.“ Wadid Nabi wiederum beschreibt ihr Schreiben als Samen, den sie pflanzt, gespannt darauf, was daraus wachsen wird.

Auf der Bühne wird über Themen wie Identität und das eigene Schreiben gesprochen und darüber, wie sehr man Begriffe wie „Migrationsliteratur“ oder „Autor*innen aus Krisengebieten“ nutzen sollte. Beide Autor*innen tragen auf Arabisch Gedichte vor, die sich mit dem Thema des Krieges und dem Verlassen der Heimat auseinandersetzen. Moderatorin Miriam Kruse liest sie für das Publikum in der deutscher Übersetzung vor.

Beide Schriftsteller*innen veröffentlichten Gedichtbände im Sujet-Verlag (Nabi: „Kurz vor dreißig…küss mich“; al-Asheeq: „Gedächtnishunde“) und erschienen in der Anthologie „Das Herz verlässt keinen Ort, an dem es hängt“ (Ullstein), das als Tandemprojekt mit deutschsprachigen und nichtdeutschsprachigen Autor*innen aufgebaut wurde. „Verlage gegen rechts“ setzt sich seit 2016 gegen die Präsenz rechter Verlage auf Buchmessen ein.


 

Marie hat sich die Lesung zu Kat Menschiks frisch illustriertem Rezeptbuch „Essen essen. Mehr ist mehr“ angesehen. Ein Ohrenschmaus, ein Augenschmaus und nachkochen kann man es auch noch.

Kat Menschik spricht über’s Essen essen © Marie Kristin Gentzel

Die Illustratorin Kat Menschik ist so gefragt, dass sie im Galiani Verlag eine eigene Reihe illustrieren darf. Die Stoffe bilden ihre Lieblingsbücher und waren bisher vor allem Klassiker: Poe, Shakespeare, Kafka. Und nun ein Kochbuch? „Ich koche eigentlich gar nicht so gern.“, gestand sie dem Publikum. Sie bereite zwar immer alles frisch zu und würde ihrer Familie niemals ein Fertigprodukt vorsetzen, doch insgeheim liebe sie den Chemie-Geschmack von Fünf-Minuten-Terrinen. Trotzdem finden sich in „Essen essen (mehr ist mehr)“ richtig tolle Anregungen. Ich habe zum Beispiel das Blumenkohlcurry nachgekocht und erst dadurch entdeckt, dass man auch das Grünzeug vom Kohl anbraten kann. „Und schmeckt!“, wie Kat Menschik kommentiert. Übrigens will die Illustratorin ihren Lesern auch in einem Kochbuch „nichts vorsetzen“.  Ihre Illustrationen sollen über den Text hinausgehen, ihn nicht wiederholen. So laufen in Kat Menschiks Rezeptbuch dann auch die Radieschen durch die Gegend und die Königsberger Klopse turnen gemeinsam mit den Hühnereiern Yoga-Asanas vor. Selbst der Text wird zum Bild. Die Zutaten muss man regelrecht suchen. Was auch der Grund ist, warum ich beim Einkaufen für  den lauwarmen Bohnen-Gemüse-Eintopf die getrocknete Tomaten vergessen habe. Dieses Buch muss man sich auf der Zunge zergehen lassen,  gut kauen, langsam genießen. So lassen sich viele schöne Details entdecken.

Buchcover Essen essen (mehr ist mehr) © Marie Kristin Gentzel

 

 

 

Lena Stöneberg

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