„Ich bin die vermittelnde Instanz“

Was machen Literaturagent*innen eigentlich? Ein Gespräch mit der Agentin Elisabeth Botros über ihren Arbeitsalltag, die Veränderungen durch die Corona-Pandemie und das Verhältnis zu Autor*innen.

von Marie Julie Rahenbrock

© Stephan Vogel

Die Literarische Agentur Michael Gaeb bietet Autor*innen Unterstützung von der ersten Projektidee, über Lektorate, Verlagsvertragsverhandlung bis hin zu Auslands- und Filmrechten an. In der Agentur sind Sie für die Bereiche Literatur, Unterhaltung und Sachbuch zuständig. Was genau sind Ihre Aufgaben?

Ich arbeite mit deutschsprachigen Autorinnen und Autoren. Ich bin für die Talentsuche in dem Bereich zuständig: über Lesungen, Anthologien, Online-Blogs, Empfehlungen oder unverlangt eingesandte Manuskripte. Wenn es zur Zusammenarbeit kommt, betreue ich die Projekte von der ersten Idee bis zum fertigen Buch und darüber hinaus. Zuerst arbeite ich mit der Autorin an Exposé und Text. Wenn die Autorin und ich denken, dass der Text so weit ist, dass ich ihn anbieten kann, telefoniere ich oder treffe ich mich persönlich mit Lektor*innen und verschicke das Manuskript. Gibt es Interessent*innen, führe ich die Verhandlungen und sage in Absprache mit der Autorin dem von ihr gewünschten Verlag zu. Darüber hinaus betreue ich die Zusammenarbeit mit dem Verlag. Wenn es zum Beispiel Schwierigkeiten mit der Covergestaltung oder mit der Lektorin gibt. Aber auch für die andere Seite bin ich Ansprechpartnerin: Wenn die Lektorin zum Beispiel Fragen hat, die ich leichter mit der Autorin besprechen kann. Ich bin die vermittelnde Instanz.

Für wie viele der knapp 130 Autorinnen und Autoren, die die Agentur derzeit betreut, sind Sie zuständig?

Zurzeit betreue ich 47 Autorinnen und Autoren.

Das sind ziemlich viele. Wie gestaltet sich da die Zusammenarbeit?

Ich könnte nicht so viele Autorinnen und Autoren betreuen, wenn alle gleichzeitig mit einem Romanmanuskript von 400 Seiten ankämen. Um alle gut betreuen zu können, ist es wichtig, dass die einzelnen Autor*innen mit ihren Projekten an verschiedenen Punkten sind. Manche sind schon beim dritten Buch und brauchen weniger Hilfe, bei anderen steht intensive Textarbeit an und bei den nächsten geht es um die Arbeit mit dem Verlag.

Wie persönlich ist diese Zusammenarbeit?

Das ist ganz verschieden. Im Grunde genommen ist diese Arbeit insgesamt persönlich, weil jede schreibende Person etwas von sich in ihre Texte einfließen lässt. Als Agentin braucht man sowohl psychologisches Fingerspitzengefühl als auch ein sehr gutes Textverständnis, um das Beste sowohl für den Text, als auch für die Autorin herauszuholen und das kann dann auch zu persönlichen Freundschaften führen. Es ist natürlich immer wichtig, egal mit wem man befreundet ist, dass man allen Instanzen gegenüber fair bleibt. Als Agentin setze ich mich natürlich für die Autor*innen ein. Aber es gibt manchmal auch Fälle, in denen eine Autorin oder ein Autor Wünsche oder Ideen hat, bei denen der Verlag oder ich sagen würden: Das ist vielleicht nicht ganz so gut oder realistisch. Da ist es natürlich wichtig, dass die Autor*innen mir vertrauen und nicht nur erwarten, dass ich zu allem sage: „Ja, super“. In einer guten Zusammenarbeit, die eben auch freundschaftlich sein kann und vor allem auf Vertrauen aufgebaut sein sollte, will man das Beste füreinander und das kann eben auch einmal eine Kritik sein. In der ganzen Branche gibt es außerdem eine Vermischung zwischen Arbeit und Freizeit. Man geht abends auf Lesungen oder trifft sich mit einer Autorin oder einem Autor zum Essen. Wenn nicht gerade Corona ist, trifft man sich, wenn möglich, am liebsten persönlich.

Würden Sie zustimmen, dass die Situation sich dahin entwickelt hat, dass die Autor*in-Agent*in-Beziehung ein Karriereleben lang hält, während Verlage mittlerweile öfter gewechselt werden?

Das sehe ich genauso. Im besten Fall ist die Agentur ein lebenslanger Partner und natürlich auch der*die betreuende Agent*in. Es sei denn, irgendetwas läuft schief und eine Seite ist sehr unzufrieden mit der Zusammenarbeit. Ansonsten gibt es keinen Grund seine Agentur zu wechseln. Genau für solche Unsicherheiten wie Verlagswechsel ist es für Autor*innen gut, wenn sie einen stabilen Partner an ihrer Seite haben.

Wie hat Corona den Kontakt zu Autor*innen und Ihre Arbeitsweise beeinflusst?

Auf eine gewisse Weise hat die Pandemie den Kontakt fast verstärkt. Allein dadurch, dass es auf allen Seiten Verunsicherungen gab, auch gerade bei den Autor*innen, habe ich viel mit ihnen telefoniert: wie die Situation ist, wann wir am besten Manuskripte anbieten, was mit den Erscheinungsterminen und Lesungen passiert, wenn sie verschoben werden mussten. Der persönliche Kontakt ist nicht abgebrochen. Allerdings war es schwieriger, Autor*innen außerhalb Berlins zu treffen. Normalerweise sieht man sich auf einer der Buchmessen oder bei unseren Partys. Das ging in dieser Phase natürlich nicht.

Was die Arbeitsweise angeht, haben wir weniger Neuakquise betrieben, weil auch die Verlage ihre Programme reduziert haben und zögerlicher waren, neue Autor*innen aufzunehmen. Das liegt unter anderem daran, dass auch normalerweise ca. 60-80 Prozent aller Bücher ihren Vorschuss nicht einspielen. Das ist natürlich enorm und bedeutet, dass die restlichen Prozent den Verlag tragen müssen. Dies ist nicht neu in der Branche. Aber in einer Krisensituation neigt man dazu, die Bereiche, von denen man weiß, dass sie nicht sehr ertragreich sind, einzustellen – und das ist hier passiert. Die Programme wurden um viele kleinere oder mittlere Titel reduziert, bei denen keine große Gewinnmaximierung erwartet wurde. Dadurch ist die Schere weiter auseinander gegangen zwischen „großen“ und „kleinen“ Autor*innen und ihren Einnahmen – eine Schere, die es vorher schon gab. Das hat natürlich auch unsere Arbeit beeinflusst: Wir haben viele Folgeverträge sowie Filmdeals abgeschlossen und uns weniger auf Debüts konzentriert.

Achten Sie bei Autor*innen, die Sie neu aufnehmen, auf ein Bestseller- oder Literaturpreispotenzial?

Das ist eine interessante Frage. Im Prinzip ist es mein Job, das einzuschätzen. Welche Titel haben welches Potenzial? Das ist ja auch das, worauf die Verlage vertrauen. Das ist unterschiedlich in der Literatur und in der Unterhaltung. In der Literatur geht es um das, was man selbst bewundernswert findet. Das kann sich, und öfter tut es das auch mal, mit Preisträger*innen überschneiden. In der Unterhaltung geht es noch mehr darum, den Markt einzuschätzen. Da geht es nicht nur um private Lesevorlieben, sondern stärker um Trends. Man kann wissen, welche Dinge gut funktionieren und in die Richtung gehend beraten. Was nicht heißt, dass man alles herzlos für den Markt zurecht schneidet. Man hält in beiden Bereichen einfach nach verschiedenen Dingen Ausschau.

In einem Artikel des Blogs „Verlage der Zukunft“ von Dezember 2011 stand, dass jedes fünfte E-Book der Kindle-E-Book-Bestseller-Liste ein selbstveröffentlichtes Buch sei. Welche Rolle spielen Agenturen in Zeiten von zunehmendem Selfpublishing im Literaturbetrieb? Haben sie eine Gatekeeper-Funktion?

Von einer Gatekeeper-Funktion würde ich nicht reden. Ich vertrete auch einige Autor*innen, die aus dem Selfpublishing kommen und nun neue Bücher in Publikumsverlagen veröffentlichen wollen. Für sie ist der klassische Buchmarkt ein zweites Standbein. Beide Märkte funktionieren sehr verschieden. Beim Selfpublishing veröffentlichen Autor*innen sehr schnell hintereinander, im Zweimonatsrhtyhmus etwa oder sogar noch häufiger, wenn sie dort erfolgreich sein wollen. Das könnte kein Verlag leisten, so viele Bücher einer einzelnen Autorin in so einem schnellen Rhythmus zu bringen. Am ehesten kommt dem noch der Romance-Bereich einiger Verlage wie Lyx oder Forever vom Veröffentlichungsrhythmus her nahe. Die Leser*innen von Selfpublishing-Büchern sind es gewohnt, viele Titel zu sehr günstigen Preisen zu kaufen. Diese Leser*innen kaufen nicht unbedingt die teuren E-Books der Verlage. Daher haben der E- und Print-Markt recht getrennte Zielgruppen und manche Selfpublishing-Autor*innen haben gar kein großes Interesse an der Zusammenarbeit mit klassischen Verlagen und umgekehrt. So gibt es auch nicht so sehr ein „Gatekeeping“, weil die Konkurrenzsituation zwischen Buch- und E-Book-Marktanteil im Prinzip schon entschieden ist und der E-Bookmarkt entgegen einiger Anfangserwartungen nicht einfach immer weiter wächst. Die Gefahr des Abwanderns der Leser*innen des klassischen Buchs besteht weniger allein durch das E-Book-Selfpublishing, sondern auch durch andere Freizeitangebote wie TV-Streaming-Dienste.

In unserem Studiengang bieten Sie auch das Seminar Wie funktioniert eine Literaturagentur? an. Wie wichtig ist das Seminar, um die Arbeit von Agenturen und den Buchmarkt zu verstehen?

Ich versuche den Studierenden im Seminar näher zu bringen, was Literaturagenturen alles machen, auch das Ganze, was wir jetzt ausgeklammert haben, wie Übersetzungsrechte und Filmrechte. Es geht um Fragen wie: Wie lektoriere ich einen Text? Wie schreibe ich einen Vertrag? Ich möchte den Studierenden Einblick in meinen Arbeitsalltag geben und sie sollen sich in Übungen an solchen Aufgaben probieren. Ich hoffe, dass man durch das Seminar Einblicke darin bekommt, dass die Literaturbranche nicht nur Lektor*innenjobs umfasst, sondern dass man verschiedene Sachen machen kann. Das Tolle an der Arbeit in der Agentur ist, dass man viele Kontakte knüpft, meistens mehr als im Verlag. Im Verlag hat man als Lektorin mit seinen eigenen Autor*innen, den Kolleg*innen und manchmal mit ein paar Agent*innen zu tun. Als Agentin wiederrum habe ich mit den Lektorinnen, Programmleiterinnen und Verlegerinnen aller Verlage, mit vielen Autor*innen und mit Agenturkolleg*innen zu tun. Insgesamt glaube ich, dass unsere Arbeit für Studierende interessant sein kann, weil man ein sehr dynamisches Verständnis vom Markt entwickelt und einen viel intensiveren Einblick in die einzelnen Player erhält, als durch die Arbeit in einem Verlag allein. Manche Studierenden fangen nach dem Seminar auch ein Praktikum bei uns oder einer anderen Agentur an, dazu ermutige ich auch.

Können Sie die Vorteile Ihres Berufes in einem Satz zusammenfassen?

In einem Satz… (lacht)

Zwei oder drei gehen auch.

Was ich an meinem Beruf toll finde, ist, dass ich so wahnsinnig viel mit Menschen arbeite, also zum einen mit den Autor*innen und zum anderen mit den Lektor*innen. Außerdem kann ich viel Textarbeit machen. Hinzu kommt noch, dass ich im Vergleich zu jemandem, der im Verlag arbeitet, viel mehr Freiheiten habe. In einer Agentur kann man die Texte aussuchen, die man selbst toll findet und diese allen Verlagen anbieten. Wenn ich im Verlag arbeite, muss ich darauf achten, was zum Verlagsprogramm passt. Also kurz: Ich schätze das Soziale, die Textarbeit und die vielen Freiheiten.

Elisabeth Botros, geboren 1989, betreut seit Anfang 2014 bei der Literarischen Agentur Michael Gaeb Autor*innen in Literatur, Unterhaltung und Sachbuch. Seit 2020 unterrichtet sie an der Freien Universität im Studiengang Angewandte Literaturwissenschaft – Gegenwartsliteratur ein Seminar zur Arbeitsweise einer Literaturagentur. Die Literarische Agentur Michael Gaeb gibt es seit 2003 in Berlin.

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