Mama nervt aus Liebe

In ihrem neuen Roman skizziert Bianca Nawrath ein Mutter-Tochter-Verhältnis, dessen Liebesbeweise mal komische, mal nervenaufreibende Blüten treibt. Das Motto des Titels Wenn ich dir jetzt recht gebe, liegen wir beide falsch scheint dabei eine tragende Säule der fragilen Familienstruktur zu sein.

©N.n.Wetzel

Am 23. März 2021 debütierte die Berliner Schauspielerin Bianca Nawrath (*1997) mit ihrem Roman Iss das jetzt, wenn du mich liebst beim damals frisch gegründeten Ecco Verlag. Exakt ein Jahr später legt sie mit Wenn ich dir jetzt recht gebe, liegen wir beide falsch den zweiten, ähnlich humorvollen Band über die beiden Schwestern Zofia und Kinga nach. Die Begeisterung für lange Titel ist geblieben, doch ist diesmal am Ende des Buches nicht ganz klar, wer wem besser nicht recht geben sollte.

Doch von vorn: Nachdem in Buch eins Kinga die undankbare Aufgabe hatte, ihrer polnischen Verwandtschaft den „türkischen“ Verlobten schmackhaft zu machen, geht es im zweiten Teil um Zofia, die jüngere und deutlich naivere der beiden Schwestern. Da der alkoholkranke Vater gerade eine Entzugskur macht, hat ihre Mutter plötzlich nichts mehr zu tun. Die logische Konsequenz? Sie zieht bei Zofia ein und stellt mit mütterlicher Fürsorglichkeit Zofias Leben auf den Kopf. So weit, so amüsant.

Mama weiß, was gut für dich ist

Die wohl größte Übergriffigkeit, die die Mutter sich erlaubt, ist ihr Versuch, Zofia mit einem jungen, deutschen und natürlich blonden Arzt zu verkuppeln. Dieser Handlungsstrang entwickelt sich leider derart klischeehaft und seicht, dass man befürchtet, die ganze Geschichte würde hiermit auf Grund laufen. Was als amüsantes Figurengeplänkel fungieren soll, schrammt immer wieder am Schema F „widerwillig verkuppelte Frau findet in ihm doch noch ihren Traummann“ vorbei. Aber! Ganz so simpel ist es zum Glück nicht, denn die eigentliche Frage lautet: Wie können Zofia und Kinga die nervenaufreibende Überfürsorglichkeit ihrer Mutter von sich ablenken? Eine neue Lebensaufgabe muss her! Schneller als gedacht, werden aus den beiden überbehüteten Küken zwei besorgte Helikoptertöchter.

Heimlich beobachte ich die zwei wichtigsten Frauen meines Lebens, wie sie im Wechsel die Rauchschwaden in die Nacht entlassen. Etwas, was zumindest in Mamas Fall schon mit vollständigem Kontrollverlust gleichzusetzen ist. […] Auf Paps Kontrollverlust reagierten wir mit Kontrollsucht und werden sie bis heute nicht los. […] Gift mit Gift bekämpfen. Nicht sehr smart, wenn wir Romeo und Julia fragen.

Wie fühlt es sich an, wenn man sich als Vollzeitmutter und Ehefrau ein Leben lang um andere kümmert und dann plötzlich allein ist? Wenn man eines Tages nicht mehr gebraucht wird? Und wie können erwachsene Kinder unerwünschte Eingriffe in ihr Leben ansprechen, wenn die sofortige Antwort immer lautet: „Bin ich so eine schlechte Mutter, ja?“ Zofia zeigt uns, wie es schon mal nicht geht. Obwohl wir mit ihr gemeinsam frustriert die Türen knallen oder in ihr Wutgeheul einstimmen wollen, gelingt es ihr lange Zeit nicht, ihre Emotionen in etwas Produktives zu verwandeln. Und auch das frustriert und zwar die Leser:innen. Die dringend nötige Kommunikation zwischen Mutter und Tochter scheitert regelmäßig an beiden Enden.

Und ganz nebenbei: Alltagsdiskriminierung und Intersektionalität

„Du sprichst übrigens wirklich gut Deutsch“, lobt sie mich nach einer Weile, als wir gerade dabei sind, aus dem Yoguretten-Papier kleine Schwäne zu basteln.
„Sie sprechen auch toll Deutsch“, gebe ich das merkwürdige Lob zurück. Jetzt, wo Frau Utrecht es aus meinem Mund hört, merkt sie es wohl auch, so verwundert, wie sie guckt.

Wie auch schon bei Iss das jetzt, wenn du mich liebst tippt Bianca Nawrath neben der Hauptgeschichte noch eine Vielzahl von weiteren Themen an. Sie reichen von den Herausforderungen der privaten Altenpflege über die alltäglichen Diskriminierungserfahrungen, die Zofia als Deutsche mit polnischen Wurzeln erfährt, bis hin zur Kritik am absurden Schulsystem, das die Kinder zu Ellenbogen-Egoist:innen statt zu Teamplayern erzieht. Als frischgebackene Lehrerin sinniert Zofia nicht nur über ihren eigenen Social-Media-Konsum, sondern auch über das Verhalten ihrer Schüler:innen und das völlige Versagen der Schule, die jüngste Generation beim Thema Datenschutz auszubilden. Es fehlt an Zeit, Geld, Engagement, Technik, Kompetenz und – ach ja – Geld. Aber das Internet ist ja „für uns alle Neuland“. Auch wenn es Bianca Nawrath gelingt, diese Themen mit Witz und Leichtigkeit anzuschneiden, bleiben sie dennoch oberflächlich. Lösungsansätze? Fehlanzeige.

Verhunzt unsere Sprache!

Konsequent umgesetzt ist dagegen das Gendern. Anders als in Medien oder in Kreisen, die an der sprachlichen Sichtbarkeit aller Menschen interessiert sind, haben es die Doppelpunkte, Unterstriche, Sternchen oder Binnen-Is bisher nur vereinzelt in die Romane deutscher Autor:innen geschafft. Ob das an den Autor:innen selbst, ihren Lektor:innen oder gar den Leser:innen liegt? Wer weiß. Bei Bianca Nawrath aber springen einem bereits auf Seite 2 die „Influencer:innen“ ins Auge. Oder auch nicht. Das dürft ganz von der eigenen Lesegewohnheit abhängen. In einem nicht-literarischen Kontext würde man wohl kaum einen Gedanken an die gewählte innen-Form verschwenden. In einem Roman aber drängt sich doch die Frage auf, ob die deutsche Sprache keine eleganterer, nun ja, literarischere Alternative bereithält. Das mag jetzt verdächtig nach Stimmen wie Elke Heidenreich klingen, die das Gendern in dieser Form ungnädig als Verhunzen der Sprache bezeichnet. Sollte man sich nicht gerade in einem Roman die Zeit und den Raum nehmen, von „Influencern und Influencerinnen“ zu schreiben, anstatt den Text mit Sonderzeichen vollzustopfen?

Nein, sollte man nicht! Die Autor:innen sollten einfach machen, was sie möchten, und sich ordentlich austoben mit pragmatischen und literarischen Formen. Schließlich ist genau das Teil ihres Berufs, die Möglichkeiten von Sprache auszuloten. Außerdem macht letztlich die Gewohnheit die Sprache geschmeidig. In ein paar Jahrzehnten werden wir zurückblicken und sehen, was sich durchgesetzt hat und was nicht. Aus Verlagssicht ist sowieso vor allem die gute Lesbarkeit relevant und so viel lässt sich bei Wenn ich dir jetzt recht gebe, liegen wir beide falsch sagen: Die paar innen-Wörtchen fallen wirklich nicht ins Gewicht, sondern beweisen, wie mühelos und nebenbei genderinklusive Sprache gelingen kann.

Nach einer alles in allem sehr amüsanten Lektüre mit Höhen und leider auch einige Seichtigkeiten bleibt am Ende des Romans noch die Frage, wie es nun weitergeht mit Zofia, Kinga, ihrer Mutter und dem Vater. Welche Zukunft hat diese Familie, gemeinsam oder einzeln? Auch wenn der zweite Teil insgesamt etwas schwächer ist als Iss das jetzt, wenn du mich liebst, hofft man nach dem offenen Ende sehnlichst auf einen dritten, abschließenden Roman. Vielleicht exakt in einem Jahr, im März 2023?

Bianca Nawrath: Wenn ich dir jetzt recht gebe, liegen wir beide falsch. Ecco Verlag. 2022.

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