Rasant, witzig und gefühlvoll: Axel Ranischs Debütroman „Nackt über Berlin“

Der deutsche Filmregisseur Axel Ranisch hat seine Kreativität nun auch in die Welt der Literatur vordringen lassen: Nackt über Berlin erzählt die Geschichte zweier Jugendlicher, deren zunächst lustig gemeinter Streich, den Schuldirektor betrunken zu filmen, besorgniserregende Ausmaße annimmt, als sie ihn plötzlich in seiner eigenen Wohnung gefangen halten.

Es fängt ganz harmlos an: Jannik ist jugendlich, übergewichtig und merkt gerade, dass er Jungs mag . Er liebt klassische Musik und sein einziger Freund ist Tai, Sohn vietnamesischer Einwanderer, in den er heimlich verknallt ist. Es ist Samstagnacht, als Tai ihm befiehlt, er solle doch mal rauskommen, der Schuldirektor liege betrunken auf der Verkehrsinsel. Also kommt Jannik, natürlich, denn Tai ist er sowieso ausgeliefert.

Was zunächst nach einem harmlosen Spaß aussieht, wird allerdings schnell ernst, als Tai, nachdem er beschließt, den hilflos mit der Haustür-Fernbedienung herumfuchtelnden Direktor nach Hause zu bringen, ihn kurzerhand dort einsperrt. Und zwar mit voller Absicht. Was folgt, ist eine wilde Reise durch Janniks Gefühle, die Sünden des Direktors, ein Eintauchen in die hintersten Winkel der vietnamesischen Küche, und Detektivarbeit zur Aufklärung einer Affäre zwischen einem Lehrer und einer Schülerin.

Axel Ranisch gelingt es, diese vielen Erzählstränge am Ende geschickt wieder auf eine Bahn zulaufen zu lassen, und sie bis zu diesem Punkt gut ausbalanciert und unerwartet aufzugreifen. Dabei ist jede der Geschichten so packend, dass man ganz in ihr gefangen ist, und beim Beginn eines neuen Kapitels wachgerüttelt wird, um sich zu erinnern: Stimmt, XY gibt’s ja auch noch!

Authentisch und mit viel Witz fühlt sich der Autor in Jannik hinein, der das erlebte Abenteuer zwar für einen Albtraum hält, aber doch enorm an ihm wächst. Langsam, sachte, aber bestimmt entwickelt er sich vom verschüchterten Moppelchen, der immer alles abnickt, zu einer Person, die ihre eigenen Stärke und Talente erkennt und schätzen lernt, die ihren Wert entdeckt und damit das erste Mal ein Selbstbewusstsein spürt.

Während alledem lernt Jannik aber nicht nur sich selbst zu schätzen, sondern auch, nicht voreilig über andere zu urteilen. Denn so wie der Schuldirektor hat auch Tai seine Geheimnisse, oder sein Vater, der nie zuhause ist. Jeder – das erkennt er, während er zwischen dem Wohnhaus des Direktors und dem Rest Berlins hin- und herhechtet – hat einen Grund für sein Auftreten und Verhalten. Und so muss er merken, dass die einen nicht einfach böse und gegen ihn sind, und andere nicht ganz so engelsgleich wie vermutet. Tai zum Beispiel, aber das war ja zu vermuten.

Die 380 Seiten „Nackt über Berlin“ jedenfalls vergehen wie im Flug und haben ein Erzähltempo, das man sich auch gut im Film vorstellen könnte. Das ist sicher kein Zufall, schließlich ist der Autor selbst Filmemacher.

 

Nackt über Berlin
von Axel Ranisch
Ullstein fünf, 20 €
Gebunden, 383 Seiten

 

Lena Prisner

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