„In dieser Welt sind viele Dinge unfassbar komisch und für mich wäre es falsch darüber nicht zu schreiben.“

Der Schriftsteller, Essayist und Filmkritiker Patrick Holzapfel hat im Herbst 2022 beim 30. Open Mike den Jury- und Publikumspreis gewonnen. Wir treffen uns, um über seine abklingende Liebe zum Film, den Impuls zu Schreiben und den im Frühjahr erscheinenden Debütroman des Wahlösterreichers zu sprechen.

Interview von Cara Enders

© Cara Enders

Welche Rolle spielt das Schreiben in deinem Leben?

Patrick Holzapfel: Ich schreibe, um nicht verrückt zu werden oder um verrückt zu bleiben, je nachdem. Ich finde die Art und Weise, wie wir leben – das klingt wohl etwas kulturpessimistisch – lädt nicht unbedingt dazu ein, dass wir Dinge länger als einen kurzen Moment empfinden. Es gibt ein Zitat des rumänischen Poeten Nichita Stănescu, er schreibe, damit er sein Denken verlangsamt und ich kann ihm da nur beipflichten. Ich glaube, in der Welt, in der alles so schnell und flüchtig ist und auf einen einprasselt, ist das Schreiben ein Refugium. Dort kann ich intensiv wahrnehmen und fühlen. 

Ich lese sehr viel modernistisches Denken. Dort gilt das Prinzip: Es gibt keinen Gott mehr. Was machen wir jetzt? Alles ist so egal.
Viele Schriftsteller, die ich mag, strebten noch dahin, diese Erkenntnis rückgängig machen zu wollen. Aber jetzt sind wir wie auf der anderen Seite des Mondes. Wohin wollen wir noch zurückgehen? Und hier wird es interessant, denn jetzt können wir vielleicht etwas neues Spirituelles erfinden oder zumindest im Schreiben dessen Abwesenheit spürbar machen.

Wie kamst du zum Schreiben?

Patrick Holzapfel: Ursprünglich komme ich vom Film. Ich habe selbst Filme gedreht und hatte eine richtig obsessive Cinephilie entwickelt. Damals ging ich jeden Tag ins Kino. Obwohl zu dieser Zeit das Schreiben für mich in den Hintergrund rückte, begann ich den Blog Jugend ohne Film. Vor vier, fünf Jahren fiel mir aber auf, dass ich beim Schauen des Films schon immer darauf wartete, bis ich endlich darüber schreiben konnte. Irgendwann störte es mich, dass die Welt immer nur in diesem Viereck blieb. 

Und dann hat sich deine Cinephilie in ein obsessives Schreiben gewandelt. Ist es dir schwer gefallen, diese andere Form des Schreibens zu erlernen?

Patrick Holzapfel: Filmkritik war, bevor sie das wurde, was sie jetzt ist, eigentlich ein literarisches Genre. Es gibt ganz famose Filmkritiken auf Deutsch, zum Beispiel von Frieda Grafe. Das sind keine Beurteilungen von Filmen, diese Texte sind literarische Formen des Schreibens. Ich habe mich immer eher daran orientiert, auch wenn dabei viel Überambitioniertes oder Unleserliches entstand. Wenn ich über einen Film schreibe, kann ich Dinge ausprobieren, kann ich üben. Das ist ein Spielfeld. Ich vermisse die Freude an Sprache in vielen heute entstehenden Filmtexten. Man fliegt nur so darüber, wenn man sich überhaupt dafür interessiert. Ich lese gern alte Filmtexte. In Frankreich zum Beispiel ist es immer noch ein bisschen besser, da darf Filmkritik literarisch sein.

Du hast den Open Mike 2022 gewonnen. Publikums- und Jurypreis –Was für eine Erfahrung war das für dich? 

Patrick Holzapfel:  Der Open Mike ging an einem Freitag los. Ich hatte bis zu genau diesem Tag ein Stipendium mit meiner Partnerin im Gesäuse − einem Teil der österreichischen Alpen. Von dort bin ich neun Stunden mit dem Auto nach Berlin gefahren. Die Narration des Open Mike ist ein wenig die einer Castingshow mit einer hohen Intensität und viel Aufregung und ich kam von einer Gamsbrunft im verschneiten Österreich in diese (Literatur-)Welt in Neukölln. Das heißt, die Gämse haben sich gar nicht gezeigt, weil es geschneit hat. Ich saß nur eine Stunde auf einem Beobachtungsstand und habe in den Schnee geschaut. Dann ging es nach Berlin. Das war eine Kulturschocktherapie. Ich hatte keine Vorstellung, was auf mich zukommen würde.

Dein Text „Gurgelgeräusche“ kam beim Publikum des Open Mikes sehr gut an, es wurde viel gelacht. Gleichzeitig ist der Text der Monolog eines sterbenden Menschen. Wie passt das zusammen?

Patrick Holzapfel: Ich finde viele Sachen unfassbar komisch in der Welt, im Sinne von absurd, wahnsinnig und bizarr. Es wäre für mich falsch, darüber nicht zu schreiben. Gleichzeitig hilft mir Humor auf eine Art zu überleben. Trotzdem existieren diese Dinge gleichzeitig: Melancholie und Humor, Wahnsinn und Streben nach Logik, es ist alles gleichzeitig da. 

Das Schreiben selbst ist ein komischer Akt, denn er fügt den Dingen automatisch Humor hinzu. Nicht Pointenhumor, sondern absurde Wendungen und Dinge, die vielleicht ein bisschen manisch sind oder zumindest so gesehen werden und sich dann festfahren. Und Österreich ist da natürlich ein … (lacht). Das Land hat ja tatsächlich mehr Humor als Deutschland. Es gibt eine humoristische Tradition, die sehr schwarz und dunkel ist. Deutschland ist ja doch eher ernst, bestenfalls ironisch.

Wenn du wie in „Gurgelgeräusche“ aus der Ich-Perspektive schreibst, hast du das Gefühl, dass es manchmal schwieriger ist, die Texte von dir abzugrenzen? Oder schreibst du heimlich über dich selbst? 

Patrick Holzapfel Es gibt großartige Texte in der Literatur, in denen das Ich als Ich gemeint ist, als ein über sich selbst schreiben. Aber mich interessiert eigentlich ein literarisches Ich. Ich verwende das Ich fast wie ein er oder ein sie, aber selbst, wenn ich eine dritte Person verwenden würde, dann würde ich auch Dinge von mir selbst mit einfließen lassen. Ich finde diese Perspektive spannend, weil das Ich in unserer Gesellschaft so überdominant ist. Alle reden nur von sich selbst und auch die sozialen Medien sind immer eine Selbstdarstellung. Das kann in der Literatur so schön gebrochen werden. Du kannst Ich sagen, aber gar nicht Ich meinen auf eine ganz komische Art. 

Bei Gurgelgeräusche hatte ich das Gefühl, dass du in diesem speziellen Feld zwischen Objekt und Wahrnehmung hantierst. Wenn man in dieser Wahrnehmung rumspielt, ist man schnell auch beim Wahnsinn. Ich glaube, in Deutschland will sicherlich keiner verrückt sein. Man sollte normgerecht sein und irgendwie gut angestellt, oder? Wenn man aber psychiatrisch krank ist, wird man ja nicht verbeamtet. Das ist so ein deutsches Grundgefühl. 

Patrick Holzapfel Ja, total – und die Leute, die über ihre psychiatrische Erkrankung schreiben, das ist alles so nüchtern. Sie sind alle schon geheilt. Wobei es fällt mir Robert Walser ein: Er hat ja wirklich in der Psychiatrie geschrieben, und das ist ziemlich fantastisch. Also nicht, dass ich in die Psychiatrie möchte, aber wenn ich dort so schreiben könnte, würde ich vielleicht auch freiwillig gehen. 

Da kommt auch die Frage auf, inwiefern Wahnsinn, Fantasie und vielleicht auch Spiritualität im Zusammenhang stehen.

Patrick Holzapfel Na ja, es gab schon im 18 Jahrhundert Studien, die klar gemacht haben, wie dünn diese Schicht ist zwischen dem, was wir als gesund betrachten und was wahnsinnig ist. In manchen Fällen ist es auch nicht zu unterscheiden, wie in der Art Brut, die ich sehr schätze: die Kunst von Menschen, die sich in psychiatrischen Heilanstalten befinden. Und es gibt hier in Gugging, so heißt ein Ort bei Wien, eine der berühmtesten Anstalten, in der als Therapieform Kunst gemacht wurde. Daher kommen unfassbare Poeten, die mit Sprache Dinge gemacht haben, auf die würde niemand kommen. 

Das ist der wahre Open Mike sozusagen. 

Patrick Holzapfel: Ja, genau! Ich finde, das ist etwas, was wir auch oft unterschätzen in unserem neoliberalen System, wo halt alles irgendwie zuverlässig sein muss, so das bisschen Herausschießende. Aber das kann man nicht imitieren. Dazu bin ich zu sane. Aber ich versuche zumindest zu erkunden, wohin man gehen kann.

Wer sind deine literarischen Vorbilder?

Patrick Holzapfel: Mein Vater. Der verkauft Fahrräder und hat immer am Abend beim Essen Geschichten über seine Kunden erzählt. Das war mein Eintritt in die Literatur. Ansonsten lese ich alles, ich mag die Manischen. Hrabal, Kharms, Jaeggy, Gogol, Gombrowicz, Cervantes, ich weiß nicht.Im deutschsprachigen Bereich wäre so was wie W.G. Sebald, schon sehr hoch für mich und Franz Kafka, Marie-Luise Scherer. Auch Gregor von Rezzori, der leider ein wenig vergessen wurde. Generell lese ich gern Vergessenes und spreche gern mit Toten. Ich finde aber auch, was Esther Kinsky macht, ganz beglückend. Sie sieht nicht etwas und denkt sich, wie könnte ich das beschreiben? Sondern sie entwickelt ein Vokabular für eine Landschaft. Und dadurch entsteht die Landschaft erst so richtig. Und das ist etwas, was ich genau gemeint habe, mit diesem Erschaffen von Dingen und die Wahrnehmung auch schärfen.

Hast du eine:n Lieblingsschriftsteller:in?

Patrick Holzapfel Ich fühle mich sehr zu irischen Schriftstellerinnen hingezogen und weiß nicht genau warum. Joyce, Beckett, Sterne – und Flann O´Brian ist mein Seelenbruder. Und auch Iris Murdoch. In meiner Wahrnehmung gibt es dort eine Verbindung zu so was tief Mythischen, wie auch in Ulysses, also diese Idee von einer Verbindung von griechischer Mythologie zu etwas sehr Modernem, der Welt fast Entsagendes, Abartiges Wildes, Lustiges. Und diese Verbindung ist genau das, was ich suche. Deswegen fühle ich mich da sehr wohl, auch wenn ich wahrscheinlich viel mehr trinken müsste, um als irischer Schriftsteller durchzugehen. Man hat manchmal Verwandtschaften, die keinen wirklichen Sinn ergeben. Wenn ich genau drüber nachdenke, würde ich mich wahrscheinlich mit diesen Leuten keine zwei Minuten verstehen…

Im Frühjahr erscheint ein Roman von dir bei Matthes und Seitz. Worum geht es?

Patrick Holzapfel: Um einen jungen Studienabbrecher in Wien, der sich von heute auf morgen entscheidet, auf den Stadtbänken zu leben und dort allerhand Bekanntschaften macht und ständig mit der eigenen Lächerlichkeit seines Vorhabens konfrontiert wird. Weil er reich ist und auf Bänken lebt – und das funktioniert irgendwie nicht. Gleichzeitig ist es ein Porträt der Stadt Wien, von ihren Bänken aus betrachtet. Es geht mir sehr stark darum, dass ich in meiner Generation beobachtet habe, dass sehr viele Menschen, die gegen den Strom schwimmen und so rebellisch zu sein scheinen, das nur sein können, weil sie von zu Hause extrem unterstützt werden. Ich fand das immer so ein bisschen bescheuert.

Du meintest das Schreiben kommt bei dir aus einer Notwendigkeit heraus. Was passiert, wenn dieser Drang nachlässt? Hast du Angst davor, dass es passiert? 

Patrick Holzapfel: Gerade ist es für mich ganz schwer vorstellbar, weil ich einfach immer schreibe. Mir geht es auch wirklich schlecht, wenn ich es nicht tue. Aber ich bin nicht so naiv zu glauben, dass das nicht auch passieren kann. Denn es gibt einfach im Leben Dinge, die, die man nicht vorhersehen kann. Und aber ich glaube, wenn das passiert, ist es auch okay, denn es gibt auch Wichtigeres. Das Leben besteht ja nicht nur aus dem eigenen Ausdruck. Wenn man nicht schreibt, dann weil es etwas gibt, das einen daran hindert und dann ist es, aus der Situation betrachtet, nicht schlimm. Es wird ohnehin zu viel geschrieben.

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